Du bist Doofland
Verfängliches aus dem Patriotismus-Sumpf
Mit dem Slogan "Du bist Deutschland" malträtiert unsere selbsternannte Medienelite momentan Fernsehzuschauer, Kinogänger und Zeitungsleser. Das Machwerk besticht durch schiefe Metaphern, exakt einem historischen Bezug, uralter "Ruck"-Sülze und unfreiwilligem Humor, dass man sich vor Lachen beinahe die Beine bricht, wenn man nicht vorher schon zur Kotztüte greifend abschalten musste. Damit der Pathos-Turbo so richtig in Fahrt kommt, dürfen die Tränendrüsen auch noch mit Forrest Gumpschen Klaviergeheule malträtiert werden."Wieso schwenkst du deine Flagge, wenn Michael Schumacher seine Runden dreht?" Ja, wieso eigentlich? Weil ich Schweizer Steuerexil-Deutsche wie Schumacher dafür bewundere, keinen Cent zu unserem Gemeinwesen beizusteuern? "Ein Schmetterling kann einen Taifun auslösen." Chaostheoretiker beweinen noch heute jenen Tag, an dem die atombombengleiche Metapher in die Hände der Journaille gefallen ist. "Du bist die Flügel, du bist der Baum. Du bist 82 Millionen". Äh ja, genug jetzt aber, bevor ganz in Forrest Gumps schmieriger Pralinenschachtel versinken. "Du bist Deutschland" - alles klar. Oder wie unser tagesthemen-Ulrich frei nach Kennedy wickert: "Frag nicht, was dein Land für dich tun kann. Frag, was du für dein Land tun kannst." Ja, so lieben wir das. Die gleiche Medienindustrie, die im Gleichklang mit unserer Wirtschaftslobby tagein tagaus nichts anderes zu tun hat, als Politik, Wirtschaftssituation und Leistungsbereitschaft der Menschen klein und schlecht zu reden, versucht sich im Kampf gegen die "German Disease" namens Angst.Haufenweise Prominente wie Xavier Naidoo, Katharina Witt und Günter Jauch haben neben so genannten einfachen Bürgern (also Werkarbeiter, Kloputzerin, nicht etwa Alki, Glatze oder FDP-Steuerächzer-Yuppi) ohne Honorar ein Satzfragmentchen des "Du bist Deutschland"-Manifestes für TV-Spots, Zeitungsanzeigen und Pipapo nachgesprochen. 30 Millionen Euro hätten die Promis eigentlich gekostet, tolle Sache also - für Deutschland. Ich will mir gar nicht ausmalen, für welch wirklich wichtige Probleme der Welt man die wertvollen Promi-Minuten alles hätte verwenden können, denn - nun gut - sind ja alles schlaue Leute, wird ja sicher irgendwo am schwarzrotgoldnen Horizont noch ein Sinn zu finden sein.Eigene blamable Fehler der Vergangenheit in Sachen Schlechtreden wieder gut zu machen, hatte ich ja bereits angesprochen. Nur ist leider nicht damit zu rechnen, dass unser selbstkritikfreies Medienmachwerk-Manifest irgendetwas Derartiges im Sinn hatte. Nein, es geht um die immer wieder irgendwo von Journalisten ausgemachte Klagementalität in unserem Lande. Und außerdem noch mangelnder Veränderungswille, fehlende Leistungsbereitschaft und gestörtes Wir-Gefühl. Hartz IV? Ja, aber doch noch längst nicht genug im Kampf für den Standort. Seit den 90ern jährlich sinkender Krankenstand und steigende Überstundenzahlen, Exportweltmeister? Ja, aber die hohen Unternehmenssteuern. Wir sind Papst, Weltmeister, Irak-Krieg-Verweigerer? Ja, aber wer traut sich schon zu sagen, stolz auf Deutschland zu sein. Und irgendwann - frei nach Volker Pispers - kapituliert die Wirklichkeit vor dem journalistischen Sachverstand. Da wird also ein Problem bekämpft, was eigens erst dafür erfunden worden ist, prima! How to create a monster. Dazu ein kleines Lehrstück aus der Vergangenheit: Als Bundespräsident wurde ein Herr Herzog, ebenfalls mit im Boot bei unseren "Du bist Deutschland"-Doofnasen, vor Jahren einmal gefeiert, weil er im Luxus-Hotel Nummer Eins in Deutschland vor erlesenem Publikum die heiligen Worte sprach: "Durch Deutschland muss wieder ein Rruuck gehen!" Als Vorbilder für uns faule und (neoliberal-)reformunwilligen Deutsche erkor er sich die ostasiatischen Tigerstaaten, die sich durch Ausbeutung, marktradikalen Ausverkauf der staatlichen Infrastruktur und Abschaffung jeglicher finanzregulatorischer Schutzmechanismen das Wohlwollen der internationalen Finanzwelt erkauft hatten. Jedenfalls bis die Blase platzte, irgendwann nicht lange nach Herzogs Ruckrede. Zurück blieben auf Jahrzehnte geschädigte Volkswirtschaften nebst zerstörten Sozialsystemen und eine ganze verlorene Generation. So viel zu den Tipps und Tricks unserer neoliberalen Vordenker und ihrer medialen Helfershelfer."Du bist Deutschland" kann bestenfalls verstanden werden, als Aufruf zu mehr Interesse an unserer Gesellschaft, ein Aufruf für mehr Engagement und solidarischem Mitgefühl mit den Anderen, also dem, was eine Zivilgesellschaft ausmacht. Kurz: ein Aufruf zu mehr politischem Bewusstsein. Ob man sich nun als Berufssoldat verpflichtet oder sich für die Abschaffung der Wehrpflicht einsetzt. Ob man nun hilft, Reform-Konzepte zu entwickeln oder gegen Hartz IV auf die Straße geht. Ob man mit anarchistischen Pamphleten die Innenstadt zuklebt oder Kassenwart beim Kaninchenverein ist. Dafür braucht es eine ermunternde Stimme und sicherlich auch wort- und tatkräftige Unterstützung seitens der Medien. Die selbstgerechte und diffus-nationalistische "Du bist Deutschland"-Grütze trägt dazu leider nichts bei. Schade um die 30 Millionen.Mein Tipp: Trotzdem Fernsehspot runterladen. Ist in 10, 20 Jahren bestimmt ein Brüller. Du bist Deutschland (
Link)